Tatra-Paradies Nordkaukasus 1/2: Pjatigorsk

Pjatigorsk, Region Stawropol
Juli 2021

Zwei Straßenbahnbetriebe gibt es noch im Nordkaukasus, Pjatigorsk in der Region Stawropol und Wladikawkas in der Republik Nordossetien-Alanien. Beides sind ausgesprochene Tatra-Hochburgen. Sie waren – neben dem Elbrus und Kislowodsk – Ziel einer Reise im Sommer 2021. Hier geht es nun zunächst nach Pjatigorsk, ein berühmtes Heilbad an den Ausläufern des Kaukasus. Die Stadt mit ihren rund 150.000 Einwohnern hat eines der wenigen meterspurigen Straßenbahnnetze Russlands. Der Betrieb setzt Tatras der Baureihen T4, KT4 und T3 ein, die teils in den 2000er Jahren gebraucht aus Deutschland übernommen wurden. Außerdem kommen hier die einzigen je von den Ust-Katawer Waggonbauwerken gefertigten Schmalspurwagen des Typs 71-615 zum Einsatz.

Pjatigorsk liegt rund 23 Zugstunden südlich von Moskau, wenn man den schnellen Doppelstockzug nimmt. Mit dem langsameren Zug, den wir gewählt hatten, dauert es knapp 34 Stunden: abends los, einen Tag im Zug und morgens in Pjatigorsk an. Schneller geht es mit dem Flugzeug, der Flughafen im benachbarten Mineralnyje Wody wird mehrmals täglich von Moskau aus angeflogen.

Heilbad-Flair im Kaukasus

Beim Gang durch die Straßen von Pjatogorsk fühlt man sich auf Schritt und Tritt in die Glanzzeit der europäischen Heilbäder zurückversetzt. Kurparks, Trinkhallen, Hotels und Kursäle versprühen den Charme dieser glanzvollen Epoche. Die sozialistische Ära hat mit monumentalen Hotelbauten im Stil der Sowjetmoderne ebenfalls ihre Spuren hinterlassen.

Seilbahn auf den Maschuk
Eine Seilbahn führt auf den 993 Meter hohen Maschuk.

Die Stadt hat ihre Entstehung direkt den heißen, schwefelhaltigen Quellen zu verdanken, die hier zu Tage treten. Im Jahr 1793 untersuchte der Naturforscher Peter Simon Pallas die hiesigen Quellen und schrieb später: „Ich bin überzeugt, dass dieses Wasser bei einer Vielzahl von Krankheiten sehr wirksam sein wird, wenn mehr Menschen davon erfahren“. So kam es dann auch bald. Anfang des 19. Jahrhunderts wurden die Heilquellen erschlossen, in den 1820er Jahren entstanden die ersten Hotels. Der Ort wuchs schnell zu einer Stadt heran und zog Kurgäste aus dem ganzen Reich an.

Einer der berühmtesten Gäste war der romantische Dichter Michail Lermontow. Der weilte hier jedoch nicht zur Kur, sondern beim Militär. Wegen eines Duells war er in den Kaukasus verbannt worden und diente als Offizier. In Pjatigorsk geriet er im Sommer 1841 mit einem pensionierten Major aneinander, es kam erneut zu einem Duell. Für Lermontow endete es tödlich. Für Fans des Romantikers ist Pjatigorsk daher heute ein regelrechter Pilgerort.

Eine Schwefelquelle am Gorjatschaja Gora
Schwefelquelle auf dem Heißen Berg (Gorjatschaja Gora)

Einen schönen Blick auf die Stadt hat man vom 993 Meter hohen Maschuk, dem Pjatigorsker Hausberg. Seit 1971 kann man ihn mit einer Seilbahn erklimmen. Deren Gondeln sowie die Stationen begeistern mit ihrer sowjetischen Bauart, wie sie auch in Georgien oft anzutreffen ist. An einem Ausläufer des Bergs befindet sich der sogenannte Prowal, eine der Hauptattraktionen der Stadt.

Trinkhalle
In der 1971 erbauten Zentralen Trinkhalle

Es handelt sich um einen mit Mineralwasser gefüllten Karstsee in einer 26 Meter tiefen, oben offenen Höhle. Seit 1857 führt ein waagerechter Stollen für Fußgänger hinein in den Berg, sodass der tiefblaue See aus nächster Nähe bewundert werden kann. Souvenirstände und Cafés tummeln sich nahe dem Stolleneingang.

Früh eröffnetes Tramnetz

Von 1904 bis zum Zweiten Weltkrieg konnte man den Prowal auch mit der Straßenbahn erreichen. Hier hinauf führte eine der beiden ersten Straßenbahnlinien von Pjatigorsk. Das Netz wurde ab 1903 von der deutschen Firma Siemens & Halske erbaut. Wie damals noch häufig üblich, wurde es in Meterspur angelegt. Im Gegensatz zu vielen anderen Städten wurde die Tram in Pjatigorsk nie auf russische Breitspur umgestellt und ist daher heute innerhalb Russlands ein Exot.

Ungewöhnlich ist auch, dass das Netz – abgesehen von der nach dem Krieg nicht wieder aufgebauten Linie zum Prowal – bis heute keine Stilllegungen erfahren hat. Ja sogar in den schwierigen 1990er Jahren wurde noch ein Streckenast fertiggestellt, derjenige zum Mikrorajon Beschtau. Heute verkehren auf dem knapp 48 Kilometer langen Netz insgesamt acht Linien, darunter zwei Verstärkerlinien, welche nur in den Hauptverkehrszeiten unterwegs sind.

Zuerst deutsche Wagen, dann Tatras

Bis in die 1960er Jahre waren in Pjatigorsk hauptsächlich deutsche Fahrzeuge im Einsatz. Noch in den 1950ern wurden zahlreiche Wagen aus Gotha beschafft. Ab 1967 setzte man dann auf Tatras, zunächst auf den T3, der bis in die 1980er Jahre beschafft wurde. Ab 1988 kamen die Gelenkwagen der Reihe KT4SU dazu. In den wirtschaftlich schwierigen Jahren Mitte der 1990er Jahre konnten sich die russischen Betriebe die tschechischen Wagen nicht mehr leisten, weshalb zehn Wagen der Reihe 71-615 in Ust-Kataw beschafft wurden. Es sind bis heute die einzigen Meterspurwagen, die das Werk im Ural je gebaut hat.

Zuletzt wurde der Fuhrpark dann durch gebrauchte Tatras der Reihen T4D und KT4D und KT4DM aus Halle, Cottbus, Erfurt und Gera erweitert. Zusammen mit den KT4SU und den Ust-Katawer Wagen prägen sie heute das Bild der Straßenbahn in Pjatigorsk. Von den T3SU ist noch ein einziger erhalten, der mit einer historischen Sonderlackierung und Fotos aus der Straßenbahngeschichte versehen wurde. Er kommt aber auch regulär zum Einsatz.

Entlang der Linie 1

Nach der morgendlichen Ankunft am Bahnhof begann direkt die Erkundung des Netzes mit der Linie 1. Die führt nämlich weit nach Osten hinaus aus der Stadt zum Mjasokombinat, wo sich das Hotel befand. Anreise mit der Tram, besser geht es eigentlich nicht. Allerdings verkehrt gerade die Linie 1 nur sehr selten, nämlich in einem groben 70-Minuten-Takt. Wie so oft, stimmte der Fahrplan an der Haltestelle nicht mit dem auf Yandex überein. Letzterer erwies sich letztlich als der richtige und er wurde auch in den folgenden Tagen weitgehend eingehalten.

In der Zwischenzeit kamen schon einmal diverse Wagen der anderen Linien vorbei. Ein leicht verpeilter Typ sah meine Kamera, als ich gerade einen KT4 fotografierte. „Ah, Straßenbahnfans! Hier gibt’s noch viel ältere Wagen!“ Und genau mit so einem ging es dann auch zum Hotel, einem 1978 gebauten T4D, der bis 2001 in Halle im Dienst gestanden hatte.

Die Linie 1 führt zunächst gemeinsam mit anderen durch die Innenstadt, entlang dem Prospekt Kirowa. In einem Bogen wird der Gorjataschaja Gora umfahren, an dessen Fuße sich der Park Zwetnik befindet. Nun folgt sie der Teplorsernaja Uliza, wo bald die Linien 3, 4, 5 und 8 nach rechts abbiegen. Die 1 führt weiter eingleisig entlang der Straße.

An der Haltestelle Bassejnaja stellte die Fahrerin den Wagen kurz ab und verschwand in einem benachbarten Obst- und Gemüsegeschäft, um sich eine Flasche Limonade zu besorgen. Den Halt nutzte ich für ein Foto. Auf dem weiteren Weg wird noch ein Gefängnis passiert, bevor ein überaus malerischer Überlandabschnitt beginnt.

Etwas oberhalb der Straße bahn sich die Trasse hier ihren Weg durch die Wildnis. Ein Trampelpfad folgt dem Gleis, sodass man sehr bequem fotografieren kann. Einst gab es auch eine Haltestelle beim Hotel Park Rodnik, doch die ist nicht mehr in Betrieb. Die Endhaltestelle Mjasokombinat folgt etwa 150 Meter später.

Vom Hotel aus bot es sich an, immer wieder nach der doch recht selten fahrenden Tram Ausschau zu halten. Die meiste Zeit war Wagen 104 im Einsatz, gelegentlich auch Wagen 12 oder 106, beides ebenfalls KT4D.

Unterhalb des Gorjatschaja Gora

Nun begeben wir uns von der Endhaltestelle wieder zurück in Richtung Innenstadt. Entlang des Westabschnitts der Teplosernaja Uliza verkehrt die Straßenbahn vom Autoverkehr unabhängig auf einer Trasse im Straßenpflaster. Hier geht es recht idyllisch an einer Baumreihe und an älteren Vorstadtgebäuden entlang und es herrscht reger Verkehr.

Die Verstärkerlinie 3 wird meist ebenfalls mit T4D gefahren, auf den übrigen Linien kommen in der Regel die Gelenktriebwagen der Reihen KT4D und KT4SU sowie die 71-615 zum Einsatz.

An der Sobornaja Uliza mischt sich die Tram wieder unter die Autos. Kurz darauf folgt die Tasse dem Prospekt Kirowa durch die Innenstadt mit ihrer historischen Architektur.

Im Stadtzentrum

Hier befinden sich markante Bauten wie das Hauptpostamt oder die Kinderbibliothek. Die Hauptstraße ist beiderseits von Bäumen gesäumt.

Während auf den meisten Linien mit Schaffnerin gefahren wird, muss auf der Linie 1 die Fahrerin den Verkauf der Fahrkarten selbst erledigen. Dazu wird in bestimmten Abständen angehalten und die Fahrerin geht zum Abkassieren durch den Wagen. An der Haltestelle Uliza Krajnego mitten im Zentrum führt das gerne zu längerem Autostau.

An der Haltestelle Prospekt 40 Let Oktjabrja zweigt eine Strecke nach Norden ab und folgt der gleichnamigen Straße. Hier verkehren die Linien 2, 4 und 6 zur Endstation Lermontowskij Rasjesd sowie 7 und 8 zum Mikrorajon Beschtau.

Der andere Streckenast folgt weiter dem Prospekt Kirowa. Kurz vor dem Bahnhof wird der Abzweig zum alten Dopot passiert, das heute als Gleisbauhof genutzt wird. Dort ist auch, leider schwer zu fotografieren, ein historischer Wagen als Denkmal aufgestellt. Auf dem Bahnhofsvorplatz befindet sich ein planmäßig nicht genutzter Wendering, weshalb die Gleise hier weit auseinander laufen.

Vom Bahnhof zum Betriebshof

Von hier aus führt die Strecke weit nach Westen. Zunächst wird parallel zur Bahnstrecke nach Kislowodsk ein Bach überquert, weiter verläuft die Straßenbahnstrecke in einiger Entfernung zur Eisenbahn und begegnet ihr erst wieder ganz am Ende.

Hier zeigt die Stadt ein deutlich sowjetischeres Gesicht als im Zentrum. Massenwohnungsbau unterschiedlicher Epochen und breite Straßen mit viel Grün prägen das Bild. Bei meinem Besuch dort war es eher trüb und diesig.

Am Kolchosnaja Ploschtschad befindet sich eine Wendeschleife, hier gibt es auch Sozialräume für das Personal und eine Untersuchungsgrube unter freiem Himmel. Die Linien 1 und 7 enden hier. Danach geht es immer weiter entlang der Fewralskaja Uliza. An deren Ende befindet sich die Wendeschleife für die Linie 3, während die Linien 2 und 5 in einem Bogen die Pferderennbahn umfahren.

Die Strecke endet in einer großen eingleisigen Schleife mit schon sehr dörflichem Flair – obwohl hier Plattenbauten das Bild bestimmen. Am Ende der Schleife schließt das Depotgelände an, auf dem noch zahlreiche abgestellte Fahrzeuge stehen.

Elbrus-Blick und Gruß aus Deutschland zum Abschied

Nach rund einer Woche Pjatigorsk sollte die Reise dann weitergehen nach Wladikawkas. Schon am Abend zuvor war mir aufgefallen, dass man vom Maschuk aus plötzlich den Elbrus sehen konnte. Der mit 5642 Metern höchste Berg Russlands liegt etwa 100 Kilometer Luftlinie südwestlich von Pjatigorsk und ist bequem mit Bus-Touren zu erreichen. Mit der Seilbahn kommt man bis auf 3847 Meter Höhe – mit Schnee im Hochsommer.

Als ich am Abreisetag vor dem Frühstück noch einmal an die Strecke ging, staunte ich nicht schlecht, als auch hier jetzt plötzlich der schneebedeckte Doppelgipfel des Elbrus zu sehen war. Mittlerweile war der Wagen 12 mit seiner Pelmeni-Werbung auf der Linie 1 im Einsatz. Als es mit diesem schließlich zum Bahnhof ging, folgte die nächste Überraschung. Im dem Wagen warnt auch noch nach zwei Jahrzehnten Einsatz im Kaukasus ein Aufkleber mit drei alten Zwanzigern vor dem Schwarzfahren.

Zum Abschluss gab es noch ein Foto des Wagens am Bahnhof und dann ging es mit der Elektritschka nach Mineralnyje Wody und von dort weiter mit dem Lastotschka-Triebzug nach Wladikawkas. Mehr von dort dann im zweiten Teil!

Offizielle Seite des Betreibers Gorodskoj elektritscheskij transport goroda Pjatigorska
(mit ausführlichem Beitrag über die Geschichte des Betriebs und vielen historischen Fotos)
Gruppe zu Pjatigorsker Straßenbahn bei VKontakte

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