Zur Stilllegung der Kahlenbergstrecke in Mülheim an der Ruhr

Man mag es nicht glauben, aber auch im Jahr 2023 werden in Deutschland noch Straßenbahnstrecken stillgelegt, allem Hype um Klimawandel und Verkehrswende zum Trotz. In Mülheim an der Ruhr pflegt man eine Verkehrspolitik aus den 1960er Jahren, als die Straßenbahngleise dem Autoverkehr im Weg waren. Am 6. August war nun der letzte Betriebstag der Kahlenbergstrecke von der Stadtmitte zur Haltestelle Oppspring. Die Linie 104 der Ruhrbahn wurde im Abschnitt Stadtmitte – Hauptfriedhof eingestellt.

Seit dem 7. August übernimmt dort die Buslinie 130 den Verkehr — im 20-Minuten-Takt anstelle des 15-Minuten-Takts der Straßenbahn. Zukünftig endet die Linie 104 an der Haltestelle Wertgasse, die in Ev. Krankenhaus umbenannt wird. Bis dort eine neue Kehranlage fertiggestellt ist, wird sie zum Kaiserplatz umgeleitet und wendet dort.

Verschwendete Fördergelder

Nicht, dass es keinen Widerstand gegeben hätte, auch wegen Fördergeldern in Höhe von 16 Millionen Euro, die noch in den vergangenen Jahren aus Düsseldorf in die Strecke geflossen sind, aber das rückwärtsgewandte Denken im Rathaus hat gesiegt. Nach der Strecke zum Flughafen 2012 und derjenigen nach Styrum 2015 war es die mittlerweile dritte Stilllegung in Mülheim an der Ruhr nach der Jahrtausendwende.

Kahlenbergstrecke, Bismarckstraße

Wagen 1627 (M8D-NF2, Bombardier 2015) kommt am 15. Juli 2023 auf der Bismarckstraße den Kahlenberg herunter.

Das Aus des Kahlenbergasts war bereits seit einigen Jahren geplant, letztlich stimmten Gemeinderatsfraktionen von CDU, SPD, Grünen und AfD dafür. Bezeichnend ist, dass der größte Widerstand nicht aus Mülheim kam, sondern aus Essen. Der Ruhrbahn-Aufsichtsratsvorsitzende Wolfgang Weber äußerte Ende 2017 gegenüber der Presse sein Unverständnis über das Vorhaben. Er fürchtete, dass auf die Ruhrbahn als Betreiber in einem schlechten Licht dastehen würde, und fügte hinzu: „Ich hoffe nur, dass die Düsseldorfer Bezirksregierung hart bleibt und die Fördergelder zurückverlangen wird.“

Von Mülheims SPD-Fraktionsvorsitzendem Dieter Spliethoff kam prompt die Antwort, Weber solle sich bewusst sein, dass die Ruhrbahn nur der Dienstleister sei, und sich nicht in die Mülheimer Politik einzumischen habe.

Kahlenbergstrecke, Kampstraße

Eng ging es in der Kampstraße zu (8004, M8D-NF2, Bombardier 2015, 15. Juli 2023).

Vernachlässigtes Tramnetz

Warum wird nun gerade in Mülheim eine Strecke nach der anderen stillgelegt, während Duisburg trotz notorisch leerer Stadtkasse neue Wagen anschafft, und Bochum gar neue Strecken baut? Poltisches Desinteresse quer durch alle Lager ist ein Grund, aber die Ursache dafür könnte auch in der speziellen Situation in Mülheim liegen. Das heutige meterspurige Straßenbahnnetz ist der Rest, der nach den Stadtbahnplänen der 1970er Jahre übrig geblieben ist. Die direkte Strecke nach Essen ist seit Ende der 1970er Jahre zur normalspurigen Stadtbahn ausgebaut. Zu Zeiten des Stadtbahn-Booms sollten alle Strecken nach und nach entweder dementsprechend umgebaut oder auf Bus umgestellt werden.

Als dann die Ernüchterung eintrat, und langsam klar wurde, dass die Stadtbahnpläne nicht vollends finanzierbar waren, blieb in Mülheim ein Restnetz der „alten“ Tram übrig. Die einst angedachten beiden Nord-Süd-Stadtbahnstrecken von Oberhausen über Mülheim nach Saarn sowie von Essen-Schönebeck über die Aktienstraße und Mülheim zum Flughafen wurden nie realisiert. Die Linien aus dem Norden sind daher heute – außer dem Ast von Oberdümpten – nicht direkt mit der U18 verknüpft. Sie führen vielmehr am Hauptbahnhof vorbei durch die Stadtmitte.

Unteres Ende der Kahlenbergstrecke

An der Leineweberstraße trifft die Kahlenbergstrecke auf die Linie 112. Dieser unterste Abschnitt wird bestehen bleiben; an der bisherigen Haltestelle Wertgasse wird ein Kehrgleis gebaut (8004, M8D-NF2, Bombardier 2015, 15. Juli 2023).

Unvollendete Stadtbahnpläne

Dort gibt es zwar eine Verknüpfung von der Haltestelle Stadtmitte zur Station Berliner Platz im Stadtbahntunnel, in dem verkehren hier jedoch nur zwei Straßenbahnlinien in dünnem Takt. Dies sind die 102 zum Uhlenhorst und die 901 nach Duisburg. Die Stadtbahnstrecke nach Duisburg wurde nämlich ebenso nie realisiert, hier fährt bis heute die normalspurige Duisburger Tram. Ursprünglich hatte es einmal Pläne gegeben für eine durchgehende Stadtbahnlinie von Düsseldorf über Duisburg und Mülheim nach Essen.

Hätte man die U18, wie einst vorgesehen, wenigstens bis zur Haltestelle Schloss Broich verlängert, hätte es immerhin eine Verknüpfung der U18 mit den Tramlinien 104 und 112 am Berliner Platz gegeben. Dazu wäre jedoch der Einbau von Weichen mit beweglichen Herzstücken nötig gewesen, da die Stadtbahnfahrzeuge der U18 und die Duisburger Straßenbahnwagen unterschiedliche Radsätze verwenden.

So bliebt der Tunnel jedoch westlich des Mülheimer Hauptbahnhofs ein ewiges Provisorium, das nicht zuletzt auch viel Geld für den Unterhalt verschlingt. Straßenbahn und Stadtbahn existieren heute gewissermaßen nebeneinander her.

Kahlenbergstrecke

Kurz vor der Haltestelle Oppspring, wo die Kahlenbergstrecke wieder auf die Linie 112 traf, gab es einen idyllischen Abschnitt entlang eines Grünstreifens (8004, M8D-NF2, Bombardier 2015, 15. Juli 2023).

Die Mülheimer Politik hat es über die Jahre versäumt, nach dem Aus für die Stadtbahnpläne aus dem übriggebliebenen Flickwerk wieder ein Konzept zu erarbeiten. Stattdessen legte man eine Strecke nach der anderen still. Auch die Wiedereinführung der Straßenbahn im benachbarten Oberhausen in den 1990er Jahren, wohin die Linie 112 heute fährt, gab in Mülheim keine Impulse.

Wie geht es weiter?

Pessimisten äußern immer wieder den Verdacht, die Mülheimer Lokalpolitik betreibe langsam das Ende des gesamten meterspurigen Straßenbahnnetzes. Zum Schluss bliebe demnach nur noch der Ost-West-Tunnel mit der Essener U18 und der Duisburger Straßenbahnlinie 901. Käme es wirklich soweit, wäre das auch das Ende der erst 1996 wiedereröffneten Oberhausener Straßenbahn. Denn die benutzt nicht nur den Mülheimer Betriebshof mit, auch die einzige Linie hätte ohne den Anschluss nach Mülheim kaum eine verkehrliche Bedeutung.

Uhlenhorst-Strecke

Ein klassisches Straßenbahntrassee mit Pflastersteinen gibt es noch auf der Großenbaumer Straße an der Strecke zum Uhlenhorst (8009, M8D-NF2, Bombardier 2015, 16. Juli 2023).

Ob es aber wirklich so kommt, ist völlig offen. Als möglicher nächster Stilllegungskandidat gilt der Uhlenhorst-Ast der Linie 102, denn hier ist das Fahrgastaufkommen eher gering. Es bleibt einzig die Hoffnung, dass auch in Mülheim irgendwann der Wert der Straßenbahn erkannt wird, bevor es zu spät ist.

U18 in Essen

Nach den Plänen der 1970er Jahre wären irgendwann alle Strecken so ausgebaut worden – oder verschwunden: die U18 auf dem Mittelstreifen der A40 nahe der Haltestelle Breslauer Straße in Essen. Die Doppeltraktion B80C ist auf dem Weg nach Mülheim. Aus der Vision einer Stadtbahn von Essen bis Duisburg wurde nichts. Bis heute ist das Ruhrgebiet voller Provisorien aus der Stadtbahn-Epoche (5109, B80C, Duewag 1976, 16. Juli 2023).

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