Kasan, Republik Tatarstan
September 2018
Mein erster Besuch in Kasan liegt schon über zwei Jahre zurück. Es war zugleich der erste Besuch in Russland seit einer Studienreise Mitte der 1990er Jahre. Die Idee zu diesem Blog lag damals noch in ferner Zukunft, doch die Straßenbahn bekam zumindest genügend Aufmerksamkeit, um heute eine kleine Bilderstrecke zu präsentieren. Es sind nun bereits historische Aufnahmen darunter, ist doch einer der angetroffenen Fahrzeugtypen schon heute nicht mehr auf den Gleisen der Stadt unterwegs.
Das an der Wolga gelegene Kasan ist vielleicht die ideale Stadt für einen Einstieg in das Land, das für viele Deutsche auch Jahrzehnte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs noch immer fremd ist. Mit ihren etwas über 1,2 Millionen Einwohnern ist die Hauptstadt der Republik Tatarstan im Vergleich zu dem riesigen Moskau recht übersichtlich. Dank einer Reihe bedeutender Großveranstaltungen wie der Sommer-Universiade 2013, der WorldSkills 2019 und Weltmeisterschaften im Fechten und Schwimmen ist Kasan eine weltoffene Stadt, in der man auf internationales Publikum eingestellt ist. Fußballfans werden allerdings keine gute Erinnerung mit dem Namen verbinden, ist doch hier die deutsche Elf bei der Weltmeisterschaft 2018 nach einem 0:2 gegen Südkorea in der Vorrunde ausgeschieden.
Ein Zentrum des russischen Islam
Die Innenstadt ist sauber und herausgeputzt, es mangelt nicht an architektonischen Sehenswürdigkeiten vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. In der Fußgängerzone, der Uliza Baumana, reihen sich Bars, Restaurants und Souvenirgeschäfte aneinander, im Sommer sind hier recht viele in- und ausländische Touristen unterwegs.
Die jüngste Attraktion der Stadt ist in kurzer Zeit zu ihrem Wahrzeichen geworden, die im historischen Kreml errichtete Kul-Scharif-Moschee. Das 2005 fertiggestellte Bauwerk mit seinen vier Minaretten und der blauen Kuppel erstrahlt nachts in märchenhaftem Licht und ziert jede Art von Souvenirs, die man hier kaufen kann. Schließlich ist Kasan eines der Zentren des Islam in Russland. Die Bevölkerung setzt sich etwa zur Hälfte aus mehrheitlich muslimischen Tataren und Russen zusammen. Die mit dem Türkischen verwandte tatarische Sprache ist recht präsent im Alltag der Stadt. Das Nebeneinander der Kul-Scharif-Moschee und der benachbarten Mariä-Verkündigungs-Kathedrale gilt als Symbol für das friedliche Zusammenleben von Muslimen und orthodoxen Christen in Kasan.
Moderner Fuhrpark
Die Straßenbahn der sechstgrößten Stadt Russlands hat einen recht modernen Fuhrpark. Wagen aus Sowjetzeiten, wie man sie in fast allen Städten noch antrifft, sucht man hier vergeblich. Während es zahlreiche verschiedene Wagentypen unterschiedlicher Hersteller gibt, ist Kasan einer der wenigen Betriebe in Russland, die es geschafft haben, ihren Fahrzeugen eine einheitliche Lackierung zu verpassen. Im September 2018 waren Wagen von Belkommunmasch, Uraltransmasch, von der Ust-Katawer Waggonbaufabrik sowie vom Petersburger Straßenbahn-mechanischen Werk im Einsatz.
Wie vielerorts wurden in Kasan nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zahlreiche innerstädtische Linien stillgelegt. Zuletzt traf es die Linie zum Wolgahafen. Umgekehrt ist Kasan eine der wenigen Städte, in der in jüngerer Zeit ein neuer Streckenabschnitt eröffnet wurde. Die Linie 5 ist mittlerweile eine stadtbahnmäßig ausgebaute Ringlinie, auf der meist mehrteilige Gelenktriebwagen zum Einsatz kommen. Bei meinem Besuch im September 2018 war der Ring noch nicht vollständig und die Linie endete zusammen mit der Linie 1 am Bahnhof Kasan Passaschirskij.
Dort begann seinerzeit auch meine Erkundungstour. Beide Linien führen von der Wendeschleife zunächst entlang der Eisenbahn und der Uliza Said Galejewa nach Nordwesten und bald auf einer Brücke über den Fluss Kasanka. Hiernach biegt die Strecke nach rechts ab und verläuft inmitten einer breiten Stadtautobahn, der Uliza Bolschaja Krylowka. Die Zugänge zu den Haltestellen erfolgen hier mittels Unterführungen. Nach einigen Kilometern biegt die Linie 1 an einem Gleisdreieck nach links ab, während die Linie 5 weiter der Stadtautobahn folgt.
Idyllischer Streckenabschnitt im Norden
Aus der Gegenrichtung stößt hier die Linie 6 hinzu und verlässt gemeinsam mit der Linie 1 den stadtbahnmäßigen Bereich. Die hier folgende Strecke hat bald den Charakter einer typisch russischen Vorortstraßenbahn. Auf beiden Linien kommen ausschließlich einteilige Wagen zum Einsatz. An der Haltestelle Uliza Solowjetskich Jung liegen die Gleise auf eigenem Bahnkörper, umgeben von wilden Grünstreifen und sozialistischem Plattenbau. Auf diese Weise folgen sie der Uliza Energetikow mit einiger Steigung bis zum Moskowskij Rynok, einem großen Markt. Der befindet sich teils unter freiem Himmel, teils in einer schönen sowjetischen Markthalle.
Kurz danach führt die Strecke inmitten der Uliza Dekabristow bis zum Bahnhof Kasan-2, wo sich auch eine Metrostation befindet. Hier endete 2018 meine Tour entlang der nördlichen Straßenbahnstrecke. Der folgende Abschnitt entlang der Tramwajnaja Uliza ist recht idyllisch, er wurde allerdings erst ein Jahr später erkundet.
An der Wendeschleife beim Kompressorwerk
Auf der anderen Seite der Stadt führt die Linie 4 vom 9. Mikrobezirk zur Uliza Chalitowa beim Bahnhaltepunkt Kompressornyj. Sie folgt fast durchgehend mehrspurigen Hauptstraßen. Einige Fotos entstanden damals an der Schleife an der Endhaltestelle Uliza Chalitowa nahe dem Kompressorwerk. Als ich dort den „Spektr“ der älteren Baureihe 71-402 von Uraltransmasch begutachtete, freute sich das Personal über mein Interesse an dem Fahrzeug. Die Fahrerin meinte jedoch, ich müsse unbedingt auch die langen Dreiteiler auf der Linie 5 anschauen. Nun, im Vergleich zu den älteren Wagen waren die für mich recht unspektakulär. Der 71-402 mit seinen rechteckigen Scheinwerfern sowie der obskure LM-99AE waren deutlich interessanter.
Letztere waren bei meinem nächsten Besuch schon nicht mehr im Einsatz und auch einen 71-402 habe ich seither in Kasan nicht mehr erwischt.