Wegen der geplanten Eröffnung der neuen Straßenbahn war ich an Ostern 2025 in Liège. Doch als alles längst gebucht war, verschob sich der Termin wieder einmal. Da bot es sich an, am Tag vor der Abreise wieder einmal bei der Métro léger de Charleroi vorbeizuschauen. Seit meinem letzten Besuch vor rund 15 Jahren hat sich bei der für ihre Bauruinen berüchtigten Stadtbahn einiges getan. Kaum verändert hat sich allerdings die Strecke nach Anderlues, deren hinterer Abschnitt das letzte erhaltene Stück des einst riesigen Netzes an Überlandstraßenbahnen im Hennegau ist. Vor Ort habe ich mich noch wegen des trüben Wetters geärgert; beim nochmaligen Betrachten fand ich aber durchaus gefallen an der melancholischen Stimmung der Fotos.
Mit dem Intercity ging es von Liège-Guillemins durch das Tal der Maas bis Namur und weiter entlang der Sambre bis Charleroi Central. Während unterwegs noch hier und da die Sonne durchschien, war die einstige Stahlstadt in ein einziges Grau gehüllt. Als ich das letzte Mal hier gewesen war, hatte der Bahnhof noch Charleroi-Sud geheißen. Zudem war die Stadtbahnstation auf dem Vorplatz damals noch eine Endhaltestelle mit Wendeschleife gewesen. Das ganze Netz hatte sich noch in dem unfertigen Zustand wie seit Mitte der 1990er Jahre befunden – ein halbfertiger Innenstadtring mit zwei Außenästen nach Anderlues und Gilly. Seit 2012 ist jedoch der Ring fertiggestellt, und die Trams fahren quer über den neu gestalteten Platz.
Die bei La Brugeoise et Nivelles (BN) 1980 bis 1982 gebauten Stadtbahnwagen der Reihe 7400 werden derzeit bei Alstom nach und nach modernisiert, wobei sie neue Fronten und neue Führerstände erhalten. Die Elektrik wird erneuert und die Innenschwenktüren werden durch Schiebetüren ersetzt. Zudem werden die Fahrgasträume neu ausgestattet. Derzeit hat rund ein Drittel der 45 beauftragten Fahrzeuge die Modernisierung durchlaufen.
Vom Bahnhof bis Piges
Ein noch nicht modernisierter Wagen (7412, GT6 6100, BN 1981) kommt die Rampe von der Station Villette herunter gefahren und erreicht gleich die Haltestelle vor dem Hauptbahnhof.
Von der neu gestalteten Haltestelle ging es zunächst mit der Linie M3 bis zur Station Piges.
Wagen 7427 (GT6 6100, BN 1982) gehört zu den wenigen, die die neue gelbe Lackierung tragen, jedoch noch nicht modernisiert wurden. Hier ist er auf der Linie M3 auf dem Weg zum Innenstadtring.
Auf dem Bahnsteig kam ich mit einem Typen ins Gespräch, der mir gleich sagte, wo man an der Strecke nach Anderlues besser nicht alleine aussteige (Moulin). Das war auch nicht mein Plan, mich zog es zur Station Providence.
Hochtrasse durch endzeitliche Industrielandschaft
Die Station Providence in Blickrichtung Osten mit Wagen 7422 (GT6 6100, BN 1982)
Die liegt am stadtbahnmäßig ausgebauten Abschnitt der Strecke. Auf einer Hochtrasse führt die Bahn dort durch eine postindustrielle Ruinenlandschaft. Das hier ansässige Stahlwerk Forges de la Providence wurde 2012 endgültig geschlossen, nachdem es bereits während der Wirtschaftskrise 2008 seinen Betrieb eingestellt hatte. Zuletzt hatte es unter dem Namen Carsid zum Duferco-Konzern gehört.
Hochtrasse an der Station Providence
Die Station selbst und die anschließende Hochtrasse bis Moulin wurden 1992 eröffnet. Die Strecke von der Station Piges bis hierher war bereits 1982 ausgebaut worden. Einige hundert Meter stadteinwärts von hier befindet sich die Abraumhalde Terril de la Blanchisserie, von der man einen fantastischen Blick auf die Umgebung hat. Das hatte ich beim letzten Mal versäumt. Also machte ich mich entlang der Straße auf den Weg. Auf dem Gehsteig lagen Ziegelsteine, die weiter oben aus einer Wand eines der Gebäude gefallen waren.
Blick von der Abraumhalde
Und auch beim Besteigen der Halde wurde schnell klar, dass das hier nicht das touristisch erschlossene Ruhrgebiet ist. Kein barrierefreier Zugang, kein fancy Haldenkunstwerk, nicht einmal ein Hinweisschild war zu finden. Und der Trampelpfad hinauf war so steil, dass ich es mit der Angst zu tun bekam, ob ich dort je wieder heil herunterkommen würde. Dass oben leichter Nieselregen einsetzte, stimmte mich in dieser Sache nicht optimistischer.
Wagen 7416 (GT6 6100, BN 1981) überquert auf dem Weg zum Innenstadtring die 1982 eröffnete Brücke über die N90 und den Kanal Bruxelles – Charleroi.
Der Blick von dort oben war jedoch unbezahlbar. Im Westen die Stahlwerksruinen mit der Stadtbahntrasse, im Osten die wolkenverhangene Innenstadt. Die Hoffnung, dass der Weg auf der anderen Seite weniger steil sein würde, erwies sich leider als falsch. Fast wäre ich noch über eine Brombeerranke gestolpert, doch am Ende kam ich ohne Blessuren unten an.
Ins verschlafene Anderlues
Von der Station Ouest aus fuhr ich nun mit der Linie M2 noch einmal über Piges und Providence weiter hinaus entlang der Strecke, die bis zur Station Pétria stadtbahnmäßig ausgebaut ist, dabei mehrmals die Sambre und die Autobahn quert und auch einige Tunnelabschnitte aufweist. Kurz vor Anderlues wandelt sich das Bild komplett, und es geht als Überlandtram eingleisig entlang der Nationalstraße N90 weiter. Am Ortseingang schwenkt die Strecke nach links und macht einen Bogen über das Depot Anderlues durch den Ort. Die direkte Strecke entlang der Rue de Charleroi ist stillgelegt.
Wagen 7416 (GT6 6100, BN 1981) an der Endstation Monument in Anderlues
Ich fuhr zunächst bis zur verträumten Endstation Monument. Einst war das hier ein richtiger Knotenpunkt und es gab Strecken nach Thuin im Süden, Binche im Westen und La Louvière im Norden. Letztere wurde 1993 als letzte stillgelegt.
Ich war ganz überrascht, dass der dortige Intermarché am Ostersonntag geöffnet hatte. Von hier ging ich ein Stück dem Gleis entlang in Richtung Depot.
Wagen 7422 (GT6 6100, BN 1982) auf der Rue Paul Janson
Die Strecke führt hier mittig auf der Rue Paul Janson durch das Wohngebiet, vorbei am alten Bahnhof, wo sich eine Haltestelle befindet.
Wagen 7423 (GT6 6100, BN 1982) auf der Rue Paul Janson
Zurück an der Endhaltestelle drehte ich noch eine Runde durch den Ortskern mit seinem etwas traurig und einsam auf dem Place Paul Pastur stehenden romanischen Kirchturm. Wie eine kurze Recherche ergab, wurde das neogotische Kirchenschiff 2006 wegen Bergschäden abgebrochen – wie auch schon der Vorgängerbau im Jahr 1928. Einen Besuch in der Kneipe Le Cercle nahm ich mir fest fürs nächste Mal vor. Heute war es schon etwas spät.
Wagen 7416 (GT6 6100, BN 1981) an der Endstation Monument in Anderlues
Zurück in der Stadt befuhr ich noch die 2012 eröffnete Verlängerung der Strecke von Gilly nach Soleilmont und den Innenstadtring, bevor ich mich auf den Weg zurück nach Liège machte. Beim nächsten Besuch steht dann noch die 2013 eröffnete Strecke nach Gosselies auf dem Programm. Bis dahin warte ich sicher nicht wieder 15 Jahre.
Die Aufnahmen entstanden am 20. April 2025.
Literatur
Geoffrey Skelsey / Yves Laurent Hansart: Charleroi’s trams since 1940. Coal, steel and cornfields. Peterborough 2013.

