Markante Fahrzeuge, Strecken durch enge Altstadtstraßen und prächtige Architekturkulissen machen die Turiner Straßenbahn zu einem lohnenswerten Reiseziel. Die Gruppo Torinese Trasporti (GTT) betreibt in der Hauptstadt des Piemont ein Straßenbahnnetz mit sieben regulären Linien in der Spurweite 1445 mm. Dazu kommen eine Stadionlinie, die nur bei Spielen im Stadion von Juventus Turin verkehrt, sowie die historische Linie 7. Diese fährt auf einem Rundkurs durch die Innenstadt und verkehrt an Sonn- und Feiertagen zum normalen Tarif.
Schon anhand der Lücken in der Liniennummerierung zeigt sich, dass das Netz einst größer war. In den 1980er Jahren gab es den Plan, ein Stadtbahnnetz zu errichten, das mit Zweirichtungswagen bedient und weitgehend unabhängig vom Straßenverkehr trassiert werden sollte. Realisiert wurde von fünf geplanten Linien jedoch nur eine. Die damals angeschafften Stadtbahnwagen sind mittlerweile nicht mehr in Betrieb. Der Plan wurde schließlich aufgegeben. Stattdessen besitzt Turin seit 2006 eine autonom fahrende Metro nach dem System Véhicule automatique léger (VAT). Im Zuge des Baus kam es zur Stilllegung der parallelen Straßenbahnlinie 1.
Momentan wird die Linie 13 aufgrund von Bauarbeiten an der Via Po mit Ersatzbussen bedient. Dies betrifft auch die Linie 15, die im Bereich der Via Po umgeleitet wird. Dies führt dazu, dass die Strecke durch die Giardini Reali bassi, die sonst nur von der historischen Linie befahren wird, regulären Verkehr hat. Ebenfalls wegen Bauarbeiten findet auf dem Ostabschnitt der Linie 15 von der Haltestelle Ricasoli bis Sassi Schienenersatzverkehr statt. Dort besteht Anschluss an die Zahnradbahn Sassi – Superga, die jedoch gerade auch außer Betrieb ist. Auch die Linien 3 und 10 werden derzeit teilweise durch Busse ersetzt.
Klassiker in Orange
Auf dem Netz der Turiner Straßenbahn kommen vier verschiedene Wagentypen zum Einsatz. Markant sind die Doppeltriebwagen der Reihe 2800, die aus Wagenkästen älterer Fahrzeuge aus den 1930er Jahren entstanden sind. Die erste Serie wurde zwischen 1958 und 1960 gebaut, die zweite erst 1982 und 1983. Die Wagen der ersten Serie wurden Ende der 1970er und Anfang der 198er Jahre noch einmal modernisiert. Dabei erhielten sie ihr heutiges Aussehen, wodurch sie sich optisch nicht von der zweiten Serie unterscheiden. Von den einst mehr als 100 Wagen sind noch immer rund 50 einsatzbereit. Die Wagen der erste Serie (2800 – 2857) entstanden aus je zwei Fahrzeugen der Reihen 2100 und 2200 mit Baujahren von 1933 bis 1938. Die Umbauten fanden bei den Herstellern Stanga, Moncenisio und SEAC statt. Die zweite Serie (2858 – 2902) entstand komplett bei SEAC aus Wagen der Reihe 2500.
Ursprünglich waren die Wagen der ersten Serie hellgrün-dunkelgrün lackiert. Im Zuge der Modernisierungen in den 1980er Jahren wurden sie in orange umlackiert, wie sie heute noch im Einsatz sind. Die zweite Serie wurde direkt in orange lackiert. Fünf Fahrzeuge der ersten Serie erhielten wieder die historische hellgrün-dunkelgrüne Lackierung. Durch die laufende Auslieferung der neuen Sirio von Hitachi werden die 2800 nach und nach verdrängt. Sie sind vor allem auf den Linien 13, 15 und 16 anzutreffen.
Ein Wagen der Reihe 2800 (2875, SEAC 1983) quert am 16. März 2024 die Piazza Vittorio Veneto.
Bei meinem Besuch waren nur Wagen der zweiten Serie im Einsatz. Die Fahrzeuge machen einen sehr rustikalen Eindruck; gepaart mit der robusten Fahrweise mancher Chauffeure ist eine Mitfahrt ein echtes Erlebnis. Gerne werden die Türen schon vor dem Stillstand geöffnet. Sehenswert ist auch die Inneneinrichtung mit stilvollen runden Einzelsitzen aus Metall und Holz.
Markante Dreiteiler von Fiat
Astreinen 1980er-Jahre-Charme verbreiten dagegen die Wagen der Reihe 5000. Es handelt sich um dreiteilige, teils niederflurige Einrichtungswagen, die von 1989 bis 1992 von Fiat, Stanga und Ansaldo gebaut wurden. In der Mitte befindet sich ein kurzes Glied, das auf Losradsätzen gelagert ist, und so einen durchgehend niedrigen Fußboden ermöglicht. Über den außen liegenden Triebdrehgestellen dagegen ist der Fußboden höher. Die Wagenkästen mit der großen Frontscheibe und den eckigen Scheinwerfern wurden von Fiat hergestellt, der mechanische Teil stammt von Stanga und Ansaldo fertigte die elektrische Ausrüstung. Der Innenraum glänzt durch gelbe Kunststoffsitze und zeittypischen Noppenboden. Von den Wagen wurden 54 Stück gebaut. Wie auch die Wagen der Reihe 2800 gibt es sie nur bei der Turiner Straßenbahn.
Ein Wagen der Reihe 5000 (5011, Fiat/Stanga/Ansaldo 1989) am 16. März 2024 am Mercato di Porta Palazzo
Niederflurwagen von Alstom und Hitachi
Die ersten Niederflurwagen sind die der Reihe 6000, die zur Fahrzeugfamilie Cityway von Fiat gehören. Als die ersten im Jahr 2001 ausgeliefert wurden, gehörte das Fiat-Werk in Savigliano jedoch bereits zu Alstom. Es handelt sich um 34 m lange Multigelenkwagen mit vier Gliedern mit je zwei Losradsätzen und drei freischwebenden Mittelteilen. Die ersten sechs der 55 Wagen wurden als Einrichter ausgeliefert, bei den restlichen handelt es sich um Zweirichter.
Die neueste Fahrzeuggeneration der Turiner Straßenbahn sind die Wagen der Reihe 8000 von Hitachi. Hier handelt es sich ebenfalls um Multigelenkwagen mit freischwebenden Mittelteilen. Sie bestehen jedoch insgesamt nur aus fünf Sektionen und sind mit knapp 28 m etwas kürzer als die der Reihe 6000. Die Wagen befinden sich derzeit in Auslieferung, nachdem der erste Prototyp 2022 in Turin eintraf. Von den momentan rund zehn in Betrieb genommenen Fahrzeugen war während meines Besuchs keiner im Einsatz. Bis 2025 sollen alle 70 bestellten Exemplare geliefert sein.
Am Rondò Rivella
Am Rand der Giardini Reali, der königlichen Gärten, befindet sich ein imposanter Kreisverkehr namens Rondò Rivella. Hier verkehrt zum einen die Ringlinie 16 in beide Richtungen. Die Line 3 wendet derzeit aufgrund von Bauarbeiten hier von Westen kommend über ein Schleifengleis. Aufgrund von Bauarbeiten kommt hier zudem derzeit die Linie 15 vorbei, die normalerweise den Weg über die Piazza Vittorio Veneta nehmen würde.
Wagen 5013 (Fiat/Stanga/Ansaldo 1989) ist am 16. März 2024 als Linie 3 bis zur Haltestelle XI Febbraio gefahren und passiert jetzt die Wendeschleife auf dem Rondò Rivella.
Wagen 2882 (SEAC 1983) ist im Uhrzeigersinn auf der Ringlinie 16 unterwegs und durchfährt den Rondò Rivella von West nach Ost. Das am linken Bildrand abzweigende Gleis endet stumpf im Corso San Maurizio.
In der Wendeschleife wartet Wagen 5034 (Fiat/Stanga/Ansaldo 1991) am 16. März 2024 als Kurs der Linie 3 bis das Schwesterfahrzeug 5048 (Fiat/Stanga/Ansaldo 1992), unterwegs auf der Linie 16, die Kreuzung passiert hat.
Über den Ring zur Piazza Vittorio Veneto
Die Linie 16 folgt hier zunächst weiter dem Corso Regina Margherita, um dann über die Via Gioachino Rossini in den Coso San Maurizio einzubiegen. Die direkte Verbindung von hier zum Rondò Rivella ist abgebaut.
Wagen 2859 (SEAC 1982) an der Haltestelle Mole Antonelliana auf dem Corso San Maurizio, 16. März 2024
Kurz vor dem Ufer des Po biegt die Trasse nach rechts in die enge Via Eusebio Bava ein und steuert auf die Piazza Vittorio Veneto zu.
Wagen 5048 (Fiat/Stanga/Ansaldo 1992) überquert am 16. März 2024 die Piazza Vittorio Veneto.
Die Piazza Vittorio Veneto ist eine der Postkartenkulissen der Turiner Straßenbahn. Die neoklassizistischen Bauten gehen auf einen Entwurf des Tessiner Architekten Guiseppe Frizzi aus Jahr 1821 zurück. Die Linie 16 quert den Platz von Nordost nach Südwest, wobei sie auf beiden Seiten durch Torbögen hindurch fährt. Über die längere Seite von Nordwest nach Südost verkehrt die Linie 13, die jedoch momentan außer Betrieb ist. Auf der Seite zur Innenstadt hin finden gerade Bauarbeiten an der Trasse statt. Gegenüber schließt sich die Brücke über den Po an. Auf der anderen Seite befindet sich die Wendeschleife der Linie 13, die um die klassizistische Chiesa della Gran Madre di Dio (Kirche der Großen Mutter Gottes) herum führt. Dieses grandioses Fotomotiv ist derzeit aber nur mit Schienenersatzverkehr umsetzbar.
Wagen 2897 (SEAC 1983) durchquert einen der Torbögen an der Via Eusebio Bava ein und quert die Piazza Vittorio Veneto, 16. März 2024.
Am Mercato di Porta Palazzo
Ein weiteres Highlight ist die Piazza della Repubblica, wo sich der große Markt Mercato di Porta Palazzo befindet. Hier trifft der klassische piemontesische Bauernmarkt auf Straßenhändler mit einem wilden Mix aus Handyhüllen, Fake-Turnschuhen und Lebensmitteln aus aller Welt, dazu noch eine moderne fancy Markthalle mit Food Court und Disco-Bar. Architektonisch interessant ist der 1916 errichtete Pavillon IV, eine zeittypische Konstruktion aus Stahl und Glas. Um die Hallen herum herrscht typisches Markt-Chaos. Die Piazza della Repubblica ist eigentlich eher eine Straßenkreuzung und in jede Richtung liegen Straßenbahngleise.
Ein weiteres Postkartenmotiv der Turiner Straßenbahn: Ein Alstom Cityway (6045, 2003) ist auf der Linie 4 unterwegs. Dabei quert er die Piazza della Repubblica vom Corso Giulio Cesara auf die Via Milano, rechts der Pavillon IV von 1916, 16. März 2024.
Die Linie 4 quert den Platz stadteinwärts in Nordost-Südwest-Richtung. Hier verkehren in der Regel die 34 m langen Alstom Cityway. In der anschließenden Via Milano ist nur Platz für ein Gleis. Stadtauswärts kommen die Wagen der Linie 4 daher durch die Via XX Settembre und den Corso Regina Margherita, um dann vor dem Pavillon IV nach Nordosten abzubiegen.
Wagen 5028 (Fiat/Stanga/Ansaldo 1990) quert die Piazza della Repubblica auf der Linie 16, 16. März 2024.
Wagen 6040 (Alstom 2003) ist am 16. März 2024 auf der Linie 4 stadtauswärts unterwegs. Er wird nach dem Verlassen der Haltestelle Porta Palazzo Est in Blickrichtung links in den Corso Giulio Cesare abbiegen.
Die Richtungsstrecke in der Via Milano
Die eingleisige Strecke von der Piazza della Repubblica in Richtung Zentrum führt zunächst durch das Marktgelände und dann durch die enge Via Milano.
Wagen 5025 (Fiat/Stanga/Ansaldo 1990) biegt am 16. März 2024 vom Corso Regina Margherita in die Via Milano ein.
Normalerweise verkehrt hier nur die Linie 4, vom Corso Giulio Cesare kommend. Die Verbindung vom Corso Regina Margherita in die Via Milano wird regulär nicht genutzt. Dass hier ein Wagen der Linie 15 die Verbindung befuhr, lag an einer Demonstration, die am Nachmittag des 16. März 2024 den Verkehr auf dem Corso Regina Margherita teilweise lahmlegte. Im Frontfenster des Wagens weißt ein handgeschriebener Zettel darauf hin, dass es sich um eine Dienstfahrt handelt. Das Liniensignal ist gestrichen. Der Fahrer musste zuerst die Marktleute darum bitten, Platz zu machen. Offenbar hatte niemand damit gerechnet, dass diese Verbindung benutzt wird.
Wagen 6019 (Alstom 2001) verlässt die Haltestelle Poto Palazza Sud in Richtung Via Milano, 16. März 2024.
Wagen 6021 (Alstom 2001) auf der Via Milano, rechts die Basilica Mauriziana Di San Mauro e Lazzaro, 16. März 2024
Nach der Piazza della Repubblica folgt der Streckenabschnitt durch die enge Via Milano. Dort wird die Basilica Mauriziana Di San Mauro e Lazzaro passiert. Auch hier werden nochmals Torbögen durchfahren. Wie bei vielen der innerstädtischen Strecken der Turiner Straßenbahn fällt nur kurze Zeit am Tag Licht auf die Gleise.
An der Ponte Mosca
Nordöstlich der Piazza delle Repubblica quert die Linie 4 die Dora Riparia auf der Ponte Mosca.
Wagen 6006 (Alstom 2001) auf der Porta Mosca, 16. April 2024
Die Linea 7 storico
Ein Highlight der Turiner Straßenbahn ist die historische Linie 7. Sie fährt auf einem Rundkurs im Uhrzeigersinn durch die Innenstadt. Sie verkehrt jeden Sonntag sowie an Feiertagen im Stundentakt. Es sind keine besonderen Fahrscheine nötig, ein Einzelfahrschein oder ein Tagesticket genügt. Start- und Endpunkt der rund 35-minütigen Runde ist die Piazza Carlo Emanuele II mit seinem Wendekreis. Hier findet sonst kein regulärer Verkehr statt.
Wagen 2847 (Moncenisio/SEAC 1960) erreicht nach einer Runde auf der historischen Linie 7 die Piazza Carlo Emanuele II, 17. März 2024.
Am 17. März 2024 war Wagen 2847 im Einsatz. Er entstammt der Reihe 2800 und entstand 1960 aus zwei einteiligen Fahrzeugen aus den 1930er Jahren. Auch er wurde von 1978 bis 1980 modernisiert und erhielt dabei das Aussehen der heutigen 2800er-Wagen mit der neuen Front und der orangen Lackierung. Er wurde allerdings 2008/2009 wieder in seinen Ursprungszustand versetzt und dient seither als Museumswagen und für Sonderfahrten.
Die Linie 7 führt von der Piazza Carlo Emanuele II über den Bahnhof Ponte Nuova, die Piazza San Giovanni durch die Giardini Reali und über die Piazza Castello wieder zurück zum Ausgangspunkt.
Schienenersatzverkehr auf der Linie 15
Wagen 2893 (SEAC 1983) am 17. März 2024 auf dem Corso Belgio. Rechts im Hintergrund ist die Basilica della Natività di Maria Vergine auf dem 672 m hohen Superga zu sehen.
Die Linie 15 verkehrt normalerweise bis zum Stadtteil Sassi, wo Anschluss an die Zahnradbahn Sassi – Superga besteht. Aufgrund von Bauarbeiten an diesem Außenast endet sie jedoch derzeit an der Haltestelle Ricasoli im Stadtteil Vanchiglia.
Die Strecke durch die Giardini Reali und über die Piazza Castello
Ebenfalls ein Resultat von Bauarbeiten ist die Umleitung der Linie 15 durch die Giardini Reali und über die Piazza Castello. Normalerweise verkehrt hier nur die historische Linie 7. Doch wie diese benutzt auch die 15 diese Strecke nur stadteinwärts. In die andere Richtung verkehren die Wagen gemeinsam mit der Linie 4 auf der eingleisigen Strecke in der Via XX Settembre.
Wagen 5044 (Fiat/Stanga/Ansaldo 1992) durchquert am 16. März 2024 auf der Viale 1º Maggio die Giardini Reali. Gut zu sehen ist, dass das Gegengleis Rost angesetzt hat. Es wird regulär nicht benutzt.
Auch dieses Motiv ist normalerweise nur mit historischen Wagen umsetzbar. Wagen 2880 (SEAC 1983) hat am 16. März 2024 das Gebäude der Prefettura di Torino an der Piazza Castello unterquert. Gleich erreicht er die Haltestelle Castello Est Cap.
Auf der Piazza Castello trifft die Strecke auf die Gleise der Linie 13 entlang der Via Po. Wie bereits erwähnt, ist diese derzeit außer Betrieb.
Wenn man hier gerade angekommen ist, lässt sich der Straßenbahnausflug bestens mit einem Bicerin im Caffè Fiorio an der Via Po ausklingen. Und beim nächsten Mal ist hoffentlich die Linie 13 wieder in Betrieb. Wer mehr über die Turiner Straßenbahn erfahren will, findet in italienischer Sprache zahlreiche Infos auf der Website Tram di Torino. Infos über die historischen Wagen und den Nostalgiebetrieb finden sich auf der Website der Associazione Torinese Tram Storici ETS (ATTS).